Ich habe lange nichts mehr von mir hören lassen, nicht weil ich euch vergessen habe, aus guten Gründen! Es war einfach ungemein viel los.
In Cabrican haben die großen Ferien begonnen, die Arbeit an der Schule aber nicht aufgehört. Ich habe einen Englischkurs für diejenigen veranstaltet, die sich gerne vor Beginn des neuen Schuljahres verbessern möchten. Und wir haben das erfolgreiche Ende des Jahres mit einem Mittagessen für alle Eltern, Lehrer sowie Schüler und Marimbamusik gefeiert. Wer das Nationalinstrument Guatemalas nicht kennt, unten findet ihr einen kleinen Mitschnitt der Feier. Am kommenden Dienstag findet dann noch die ganz offizielle Abschlussveranstaltung der Schule statt, hier bekommen die Schüler auch ihre Zeugnisse und die SchülerInnen der sechsten Klasse werden verabschiedet. An der Schule werden momentan Bewertungen gedruckt, Lehrergespräche geführt und Neuanmeldungen für das nächste Jahr angenommen. Für mich bedeutet das sehr viel Papierarbeit, immer an der Seite von Schwester Lilia.
Mein Englischkurs für die SchülerInnen der fünften und sechsten Klasse hatte ich etwa 50 SchülerInnen (beide Stufen zusammen) angeboten, tatsächlich wahrgenommen haben das Angebot leider nur etwa zehn SchülerInnen. Im Grunde genommen für mich der Jackpot schlechthin, mit zehn Kindern lässt es sich deutlich effizienter und produktiver arbeiten als mit 50, jedoch eine vertane Möglichkeit für die Kinder, mit der Sprache vertraut zu werden. Zu Beginn waren alle TeilnehmerInnen auf einem ähnlichen Englischniveau und im etwa gleichen Alter, was mir erlaubte, einfachen Tafelunterricht zu gestalten, für alle gleich. Am dritten Tag wollten allerdings auch Kinder der Preprimaria und des Segundo, den niedrigen Stufen, am Kurs teilnehmen. Einige der Kleinen können noch nicht einmal Lesen oder Schreiben, was den Unterricht natürlich um 360 Grad dreht. Normalerweise arbeite ich bei den Kleinen mit Bildern, Musik oder Bewegungen – diesen Unterricht konnte ich dann aber natürlich nicht mit allen SchülerInnen des freiwilligen Kurses machen. Besonders am ersten Tag mit vielen verschiedenen Englischniveaus und Auffassungsgaben im Raum war der Spagat zwischen den SchülerInnen ganz schön anspruchsvoll. Auch in Zukunft musste ich mir die verschiedensten Aufgaben für die unterschiedlichsten Level ausdenken und ganz besonders: diese Aufgaben dann auch jedem Teilnehmer einzeln näherbringen und sie heranführen. Eine Challenge für mich, vor allem wenn die Kinder nach einer Stunde, die wie im Flug vergeht, viel zu hibbelig und unkonzentriert für mehr Inhalt sind. Wären es also von mir aus mehrere Kurse am Tag, dafür aber mit Kindern auf dem selben Niveau, hätte ich ganz bestimmt viel intensiver mit den Kindern arbeiten können. Naja, so war es nun mal eben nicht. Ich glaube, nach etwa drei Tagen war der Dreh dann einigermaßen raus, sodass ich behaupten kann, dass diejenigen, die die kostenlose Möglichkeit wahrgenommen haben, tatsächlich nach fünf Tagen Kursus etwas mitnehmen konnten. Hier merke ich immer wieder, wie stolz ich auf mich bin, wenn ich tatsächlich etwas beibringen konnte. Was für ein tolles Gefühl, wenn die SchülerInnen mich am nächsten Tag mit „Good morning“ begrüßen oder meinen täglichen Unterrichtsstart mit „How are you?“ nicht mehr übersetzt brauchen. Es freut mich immer wieder, wenn das, was ich hier tagtäglich tue, auch ankommt.
Nicht nur Englischkurs und Einschreibungen haben mich die letzte Zeit beschäftigt. Ich habe nach drei Wochen Spanisch lernen und austesten das Gefühl gehabt, nochmal ein wenig Klarheit in das Chaos gelernter Zeitformen und Vokabeln in meinem Kopf schaffen zu müssen, um gut kommunizieren zu können. Dafür bin ich Ende Oktober für eine weitere Woche nach Xela gegangen, um nochmal einen kurzen Sprachkurs zu machen. Während ich dabei mein gewohntes Leben in Xela mit Salsakurs, Cafebesuchen und Freunde treffen eine weitere Woche verfolgen konnte, haben mich zwei Jungs vom Salsakurs auf einen Wochenendtrip über die ersten Novembertage eingeladen. Nach kurzer Überlegung, ob mit einem dreitägigen Ausflug meine Arbeit in Cabrican (in erster Linie der Englischkurs, der am darauffolgenden Montag weiter gehen sollte) beeinträchtigt werden würde, entschied ich mich schließlich dafür.
Den kommenden Freitag, Samstag und Sonntag verbrachte ich also nicht nur physisch sondern auch mental ganz woanders.
Am Freitag Morgen ging es also in Xela los nach Sumpango, einem für sein Drachenfestival bekannter Ort. Um meine folgenden Schilderungen zu verstehen, braucht man ein wenig Wissen über die Feierlichkeiten des Landes. Allerheiligen, der 01. November jedes Jahres ist in Guatemala wie in vielen mittel- und südamerikanischen Ländern ein farbenfrohes Fest der Familie und des lauten Zusammenseins. Ich sage hier ganz bewusst „laut“, nicht im Sinne von ohrenbetäubender und nervenaufreibender Lautstärke, viel mehr meine ich damit die Intensität und Tiefe dieser Zeit. Eine Tradition des Landes sind in jedem Fall die Friedhofsbesuche mit der gesamten Sippe, schick angezogen und mit genug Mahlzeiten für den gesamten Tag im Gepäck. Die Familie verbringt oft den ganzen Tag bei ihren Toten, spielt Musik, isst und trinkt mehr als genug. Bei unserem Besuch in Sumpango konnten wir auch das bunte Treiben auf dem Friedhof beobachten und dabei nicht wenige Betrunkene nach hause torkeln sehen. Wie in so vielen Ecken dieser Welt ist auch hier leider nicht selten Alkohol ein Weg aus dem eigenen Kummer. Besonders in Cabrican höre ich leider oft Geschichten über tragische Familienschicksale, die entweder zur Alkoholsucht führen oder diese der Ursprung für extreme Situationen ist (Kleinkinder, die alleine leben und nie zur Schule gehen. Mädchen, die freien Zugang zu Alkohol haben, nie an den Umgang herangeführt werden und während sie vollkommen betrunken in einem unbeaufsichtigten Haus sitzen und dieses zu brennen beginnt, in ihrer Trunkenheit keinen Ausweg finden. …).
An einem solchen Tag wie Allerheiligen schweben die Emotionen der Meisten natürlich zwischen Trauer und Freude, zwischen Einsamkeit und Zuhausegefühl. Wenn Einer damit nicht klarkommt, dann kommt Alkohol hier ganz gelegen…
Zurück zu meinem Trip. In Sumpango findet jedes Jahr ein berühmtes Festival statt, rund um die riesigen, über das ganze Jahr eigens aus Papier hergestellten Drachen, die von zahlreichen Besuchern bewundert werden.
Die riesigen Papierkonstruktionen werden mit speziellem Kleber und Bambusstangen an ihren Rückseiten zusammengehalten und fliegen bei ausreichendem Wind sogar, so sagt man jedenfalls. An dem leider recht windstillen ersten Novembertag dieses Jahr sind nur die kleinen Drachen der Kinder geflogen, die an diesem Tag im gesamten Land zu finden sind. Die Familien hängen kleine Botschaften an ihre Toten an die Schnüre und lassen sie zu ihren Geliebten in den Himmel steigen.
In Sumpango wird die Drachenausstellung durch einen riesigen Markt umrundet, der viele Essensmöglichkeiten (als frisch eingereister Europäer: vorsicht mit Straßenessen und Magenverträglichkeit, Hygienestandards = nicht vorhanden), traditionelle Kleidung oder Süßigkeiten bietet. Vegetarier haben es hier ganz schön schwer, Fleisch ist hier tatsächlich überall an der Tagesordnung. (Zu traditionellen Gerichten ein andermal mehr.)
Wir haben einige Zeit suchen müssen und letztlich nach einer Ausnahme an einem der Stände gefragt, dafür allerdings sicher eine Stunde auf das Essen gewartet. Auch im weiteren Verlauf unserer Reise hat es sich immer wieder schwierig gestaltet, Fleischloses zu finden, ganz einfach kein Teil dieser Kultur.
Nach einem Morgen voller Buntestreibenbeobachtung machten wir uns auf den Weg nach Monterrico. Wer ist eigentlich wir? Einer meiner Freunde aus dem Salsakurs hatte Kontakte zum Eventmanager einer in Xela ansässigen Spanischschule, der jedes Jahr zu Allerheiligen diesen dreitägigen Trip organisiert und dazu auch Außenstehende einlädt, die Lust auf die Erfahrung haben. Und so waren wir eine internationale Gruppe von zwölf Menschen aus Guatemala, der USA, Australien,Deutschland, den Niederlanden und England, alle unfassbar aufgeschlossen und fröhlich.
Nach Sumpango ging es also weiter nach Monterrico, dem Place-to-be an der Pazifikküste Guatemalas. Mit über 30 Grad unterscheidet sich diese Region des Landes klimatechnisch extrem von Xela und Cabrican im Bergland, das ich bisher kennengelernt habe. Innerhalb von 20 Minuten Busfahrt ist man ganz plötzlich umgeben von schwüler und heißer Luft und einem ganz anderen Lebensambiente der Menschen. Alles, wirklich alles findet langsamer statt, die Häuser haben mehr Hängematten als Stühle, jeder groovt durch den Tag anstatt von Terminstress oder sonstigem angetrieben zu werden. Der schwarze Sandstrand ist riesig, leider auch hier teilweise ganz schön durch Plastik verschmutzt. Jeden dieser Tage haben wir genossen, Strandliegezeit verbracht, jede Bar des Dorfes ausgetestet und ein wenig Salzluft geschnuppert.
Am Samstagabend stand dann ein Programmpunkt an, der leider im Vorhinein ohne unsere persönliche Zusage gebucht wurde. Wir durften dem Aussetzen von Babyschildkröten beiwohnen und gegen Geld sogar selbst eines der kleinen Geschöpfe in die Freiheit entlassen. Klingt im ersten Moment romantisch und instagramtauglich, mit ein wenig Reflektion und Recherche leider ein sehr schwieriges und kontrovers diskutierbares Thema. Die sogenannten Aufzuchtstationen sammeln die Eier von den Stränden und lassen die Tiere dann unter geschütztem Dach schlüpfen. Grund für das Einsammeln sei die Verschmutzung des Strandes, die Zerstörung der Eier durch Strandbesucher oder das Einsammeln durch Schwarzmarkthändler. Einige Stationen kaufen die Eier auch für viel Geld vom Schwarzmarkt, um sie vor dem Kauf durch „schlechte Hände“ zu schützen, fördern und unterstützen mit ihrem Geld dabei allerdings den Schwarzmarkt weiter. Das Einsammeln der Eier ist womöglich eine Möglichkeit, sie zu schützen, dabei allerdings genauso ein riesiger Eingriff in den natürlichen Verlauf der Dinge. Wäre es nicht sinnvoller, die Gegend der Schildkrötennester am Strand zu schützen?
Nicht nur allein das Einsammeln ist fraglich, ganz besonders schwierig ist die Vermarktung der Tiere als Touristenevent. Wenn es den Tierschützern allein um den Schutz der Tiere ginge, könnten ihre Aktionen mit deutlich weniger Stress für die Tiere verbunden, ohne Touristenmassen stattfinden. Mit jedem „Liberty-Event“ verdient die Organisation viel Geld, was im Grunde einem Verkaufen der Eier auf dem Schwarzmarkt oder sonst wo gleichsetzt. Damit wird die gesamte Geldmaschinerie hinter Schildkröteneiern ein weiteres Mal schwerer. Ein an diesem Wochenende viel diskutiertes Thema, schwierig und sehr komplex, wenn bei dem Geldverdienen an dieser Aktion auch die Existenz der Ansässigen beteiligt ist. Ob gut oder schlecht, ob nötig oder Schwachsinn, das bleibt im Auge des Betrachters und seiner Perspektive auf die Dinge. Wichtig ist nur eine kritische Herangehensweise.
Sonntagmorgen durften wir dann eine weniger schwierige Aktion mitmachen. In Monterrico startet ein Sumpf- bzw Flussgebiet der Mangroven, auf Spanisch die Manglares.
Um fünf Uhr morgens ging es mit einem motorlosen Boot auf das Flusssystem, sodass wir den Sonnenaufgang und viele verschiedene Vogelarten vom Wasser aus beobachten konnten. Jedes der Bilder sieht aus wie gemalt, ein unfassbar beruhigendes und ruhiges Erlebnis. Das Wasser war wie ein Spiegel und wir konnten verschiedene Vulkane am Horizont beobachten – unglaublich.
Ich hatte also einiges zu tun in den letzten Tagen, bis Mitte November wird das auch nicht anders. Erst wenn alle Schulabschlüsse und Einschreibungen gelaufen sind, ist Zeit zum durchatmen. Obwohl ich das Durchatmen gar nicht so brauche, finde ich. Naja, mal sehen was noch so kommt. Offen bin ich jedenfalls.
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